Interview zur Gründung eines Frauen*netzwerks in der Klassischen Philologie

Die Auftaktveranstaltung „Dux femina facti (Verg. Aen. 1.364) – Frauen*(netzwerk) in der Klassischen Philologie“ fand vom 19.–21. März 2025 in Marburg statt. Organisiert wurde die Tagung von Henrike Arnold (Marburg), Laura Bottenberg (Tübingen), Mareike Ehlert (Osnabrück), Paula Neumann (Marburg), Saskia Schomber (München) und Lisa-Marei Stalp (Gießen). Unsere GRK-Mitarbeiterinnen führten das Interview im Anschluss an die Teilnahme an der Veranstaltung.

Lisa-Marei Stalp, Laura Bottenberg, Saskia Schomber, Paula Neumann, Henrike Arnold, Mareike Ehlert (v.l.n.r.)
Lisa-Marei Stalp, Laura Bottenberg, Saskia Schomber, Paula Neumann, Henrike Arnold, Mareike Ehlert (v.l.n.r.)

F: Ihr habt die Tagung unter den Titel dux femina facti [Verg. Aen. 1.364] gestellt. Wieso habt ihr euch für dieses Motto entschieden und wie würdet ihr die Vergil-Stelle interpretieren?

Mareike: Wir haben nach einem Zitat gesucht, das die Rolle oder Handlungen einer Frau betont. Was gut zu unserem Anlass passt, ist, dass eine Frau über die Taten einer anderen Frau spricht. Venus richtet verkleidet als Jägerin das Wort an Aeneas, der gerade Schiffbruch erlitten hat und an die karthagische Küste kommt, und berichtet von Didos Taten. Dido erscheint in einer sonst männlich besetzten Rolle, als dux femina – weibliche Anführerin, weibliche Herrscherin. Sie ist diejenige, die als Frau eine Stadt gegründet hat. Sie ist selbstbestimmt. Diese aktiv handelnde Frauenrolle hielten wir für einen passenden Ausgangspunkt.

F: Wie kam es eigentlich zu dieser Tagung? Woher kennt ihr euch als Organisatorinnen-Team? Aus welchem Anlass wolltet ihr eine Tagung ausrichten und warum genau so eine Tagung?

Henrike: Anlass war eine Bemerkung im Gespräch zwischen Saskia und mir darüber, dass wir zwar ein paar Doktorandinnen*, aber fast keine weiblichen Postdocs in der Gräzistik kennen. Als dann Paula neu nach Marburg kam, habe ich vorgeschlagen, dass wir einmal zu dritt essen gehen, und so hat das Ganze seinen Lauf genommen.

Saskia: Wenn ich vielleicht eine kleine Anekdote einschieben darf: Man steckt mitten im Abschluss seiner Dissertation und wird gefragt „Lass uns mal essen gehen.“ Und dann legt uns Henrike eine Tischvorlage vor, um eine Art Business Meeting durchzuführen. Wir haben erste Ideen diskutiert und jede von uns dreien hat dann eine weitere Person mit ins Team geholt.

Paula: Teilweise haben wir uns erst online über das erste gemeinsame Treffen kennengelernt. Die Vernetzung unter uns hat schon vor der eigentlichen Vernetzungstagung stattgefunden.

Laura: Wir haben uns überlegt, dass wir gerne Klassische Philologinnen* miteinander vernetzen würden und hatten ursprünglich eher an ein reines Netzwerktreffen gedacht. Dann entwickelte sich die Idee, eine wissenschaftliche Tagung zu organisieren, um Vernetzung und fachlichen Austausch miteinander zu verbinden.

F: Die Vernetzung war also ein integraler Bestandteil eurer Arbeit. Was habt ihr euch noch erhofft, als ihr angefangen habt, diese Tagung zu planen? Was waren eure Ziele?

Laura: Langfristig streben wir angesichts der Position von Frauen* in Gesellschaft und Wissenschaft ein Netzwerk an, das gegenseitige Unterstützung und Austausch ermöglicht. Das ist in größere politische Herausforderungen eingebettet (wie beispielsweise die Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzs), die Karrieremöglichkeiten einschränken oder zumindest beeinflussen, und bei denen wir das Gefühl hatten, dass man sich viel zu wenig miteinander austauscht. Ein kurzfristiges Ziel war es, andere Doktorandinnen* und Postdocs und neue Nachwuchswissenschaftlerinnen* kennenzulernen und miteinander zu vernetzen.

Henrike: Es ist kein Selbstzweck, den Frauen*anteil erhöhen zu wollen. Wir sind davon überzeugt, dass die Klassische Philologie als Disziplin besser wird, je mehr Frauen* zumindest anteilsmäßig Lehrstühle innehaben, weil sie die Disziplin thematisch und persönlich prägen.

Paula: In unseren Diskussionen haben wir festgestellt, dass Netzwerkangebote besonders auch für Klassische Philologinnen* wichtig sind, die viel Zeit an derselben Universität verbracht haben und deshalb das von dort gewohnte System nicht hinterfragen. Das ist ein Problem, wenn dann Schwierigkeiten z. B. im Betreuungsverhältnis individualisiert werden; man hält sie für ein eigenes Problem, ohne zu wissen, dass es vielen anderen auch so geht. Es ist schade, wenn Wissenschaftlerinnen* wegen schlechter Erfahrungen aus dem akademischen Betrieb ausscheiden. Man kann aus sehr guten Gründen aus der Wissenschaft aussteigen, aber wenn es an solchen Dingen liegt, dann ist das problematisch. Deswegen war es ein wichtiger Aspekt für uns, sich über die Arbeits- und Forschungsbedingungen auszutauschen zu können.

F: Auf der Tagung waren ja tatsächlich überwiegend Frauen*, genau wie ihr das gerade beschrieben habt. War das genauso auch geplant und hattet ihr ein bestimmtes Geschlechterverhältnis, auf das ihr abgezielt habt? Oder wolltet ihr diese Plattform bieten und es dann so nehmen, wie es kommt?

Saskia: Unser Anliegen war es, Frauen* zu unterstützen und sichtbarer zu machen. Deshalb wollten wir sie auch als aktive Mitwirkende und Teilnehmerinnen* dabeihaben. Wir haben aber zu keinem Zeitpunkt die Tagung für Männer geschlossen. Unsere einzige Vorgabe war, dass wir nur Frauen* als Vortragende einladen. Im Rahmen der Workshops haben wir aber auch männliche Perspektiven miteinbezogen. Grundsätzlich stand die Tagung allen interessierten Zuhörerinnen* offen.

F: Die Tagung ist auf großes Interesse gestoßen. Ihr habt sehr viele Teilnehmerinnen* eingeladen und es waren zusätzlich viele Zuhörer*innen aus Interesse da. Wie groß hätte die Tagung werden können, wenn Geld und Zeit keine Rolle gespielt hätten?

Mareike: Umfangreicher im Hinblick auf die Anzahl der Vorträge hätte die Tagung eigentlich nicht sein dürfen. Wenn uns noch mehr Geld und Zeit zur Verfügung gestanden hätten, hätten wir gern das Rahmenprogramm ausgebaut. Wir hätten vielleicht einen weiteren Workshop organisieren können, zum Beispiel mit Schwerpunkt auf weibliches Auftreten in der Wissenschaft oder auf genderspezifische Aspekte der Karriereplanung und dafür auch Coaches mit weiterer Anreise einladen und ihnen die Übernachtungskosten zahlen können. Auch die Finanzierung eines weiteren Abendessens für alle Teilnehmerinnen* hätten wir gern übernommen.

F: Ihr hattet auf eurer Tagung ein paar ungewöhnliche Formate, die bereits erwähnten Workshops, aber auch die Projekt-Pitches und die Podiumsdiskussion. Was habt ihr euch davon versprochen, diese vielleicht für eine Tagung untypischen Formate zu nutzen?

Henrike: Diese Formate haben wir jeweils andernorts kennengelernt und damit gute Erfahrungen gesammelt. Eine Podiumsdiskussion, beispielsweise, eignet sich, um Debatten über die Ausrichtung einer Disziplin und weitere Rahmenbedingungen zu führen, wie wir es in Marburg bei der Tagung „Auf unberührten Wegen (?) Die Klassische Philologie vor neuen Herausforderungen“ getan haben. Die Podiumsdiskussion war neben der Keynote-Speech der einzige Anlass, für den wir explizit relativ frisch berufene Professorinnen eingeladen und ins Programm integriert haben, um von deren Erfahrungen zu profitieren, zumal es eine Nachwuchswissenschaftlerinnen*-Tagung sein sollte.

Mareike: Durch die Podiumsdiskussion wurde ein Raum für Themen und Fragen geschaffen, die sonst nicht so explizit adressiert und angesprochen werden. Input, der jenseits des wissenschaftlichen Vortrags steht, wie beispielsweise die Podiumsdiskussion, aber auch die Pitches – 10-minütige Präsentationen mit anschließendem Feedback – und interaktiven Workshops hat die Tagung inhaltlich aufgelockert.

Laura: Zu den anderen Modellen: Die Projekt-Pitches waren eine Möglichkeit, mehr Teilnehmerinnen* einladen zu können und auch Projekten, die ganz am Anfang stehen, eine Gelegenheit zu bieten, sich vorzustellen und offene Fragen oder ihr Thema zu diskutieren. Die Workshops sollten Soft Skills adressieren, um nicht nur das Wissen um die Karriereplanung, sondern auch eine Auswahl an Werkzeugen dafür weiterzugeben.

Paula: Es ging uns auch darum, gerade Wissenschaftlerinnen* einzuladen, die an kleineren Universitäten tätig sind und weniger Möglichkeiten haben, breiteres Feedback zu bekommen. Wir in der Gräzistik in Marburg haben zum Beispiel ein Kolloquium, aber an anderen Instituten gibt es ja manchmal nur ein oder zwei Kolleg*innen und damit auch weniger Gelegenheiten für vielfältiges Feedback. Für Wissenschaftlerinnen*, die am Anfang stehen, ist es hilfreich, Rückmeldungen von unterschiedlichen Seiten zu bekommen, um das Projekt zielgerichtet weiterverfolgen zu können.

Saskia: Vielleicht kann man über alle drei Formate sagen, dass es unser Weg war, die alteingesessenen Tagungsstrukturen aufzubrechen und zu zeigen: Es gibt auch andere Möglichkeiten, wie man eine solche Tagung gestalten kann. Es muss nicht immer der klassische 45-Minuten-Vortrag sein, man kann auch mit neuen Formaten experimentieren. Wir hatten eine schöne Mischung aus beidem.

F: Wir haben eben über die Planung von Karrierewegen gesprochen. Auf der Tagung und gerade bei der Podiumsdiskussion [Lisa Cordes {Berlin}, Verena Schulz {Eichstätt}, Anke Walter {Zürich}] kam auch das Lehrer-Schüler-Verhältnis auf, das lange als Klassiker für die Karriereplanung galt. Was könntet ihr euch als alternative Modelle vorstellen, und welche Kritik kann man am Althergebrachten üben?

Saskia: Das Thema Lehrer-Schüler-Verhältnis kam tatsächlich nicht von uns, sondern von den fortgeschritteneren Wissenschaftlerinnen, die wir eingeladen hatten und die unter diesen Vorzeichen auf ihre Karriere zurückgeblickt haben. In der Wissenschaft gibt es viele Leute, die ihre Ausbildung und ihre akademische Biographie in diesem Modell verankert sehen. Daher ist es als Denkfigur nützlich, um die Präsenz oder vielleicht auch die Überpräsenz von männlichen Vorbildfiguren in der Klassischen Philologie einzuordnen.

Paula: Die gesamte Disziplin kann davon profitieren, wenn man nicht in diesen Lehrer-Schüler-Strukturen weiterdenkt. Denn diese Strukturen bilden separate Linien in der Universitätslandschaft, wohingegen Netzwerke zur Zusammenarbeit aufrufen. Unsere Tagung hat das Ziel verfolgt, performativ eine andere Art von Vernetzung zu bieten, nämlich eine, in der man nicht abhängig ist, sondern die Möglichkeit hat, sich mit verschiedenen Leuten in unterschiedlichen Karrierephasen auszutauschen.

Henrike: Wir wollten eine handfeste Alternative anbieten, damit Nachwuchswissenschaftlerinnen* sich untereinander vernetzen können und gleichzeitig aufgeklärt werden, dass es nicht nur vorteilhaft ist, sich an eine Einzelperson zu binden. In unseren Disziplinen kann es etwa zum Nachteil gereichen, wenn man während der gesamten Qualifikationsphase an einem Standort bleibt. Das betrifft sowohl die Karriereplanung als auch die individuelle Entwicklung.

F: Hattet ihr einen Moment auf der Tagung, bei dem ihr gedacht habt: Hierfür hat es sich gelohnt!

Mareike: Ich hatte meinen ersten solchen Moment, als wir vor dem Publikum standen. Verstärkt durch die beiden Grußworte von Nicola Hömke [Rostock] und  Sabine Föllinger [Marburg], die herausstellten, wie außergewöhnlich und schön es sei, in ein Publikum aus lauter jungen Frauen* zu blicken. Dieser Eindruck sowie die breite und positive Resonanz, auf die die Veranstaltung gestoßen ist, zeigen, dass der Rahmen, den wir mit der Tagung schaffen konnten, neu und auch notwendig ist. 

Paula: Als der offizielle Teil schon vorbei war, sind viele noch lange geblieben und haben miteinander gesprochen; ich habe das Gefühl, dass wir über diese kurze Zeit richtig zusammengewachsen sind.

Laura: Für mich war es der Abschlussworkshop, der die Motivation und die Ideen der Teilnehmerinnen* gezeigt hat. Auch die Podiumsdiskussion war sehr motivierend, denn die Offenheit der Diskutantinnen hat es ermöglicht, über schwierige und wichtige Themen zu sprechen.

Henrike: Wir hatten das Glück, dass in der Gruppe alle offen waren und ihre Erfahrungen und Gedanken gerne geteilt haben. Man hat sowohl in den inhaltlichen Diskussionen wie auch im Zwischenmenschlichen gemerkt, dass die Anwesenden wirklich Interesse daran hatten, miteinander ins Gespräch zu kommen, über die jetzige Phase, aber auch perspektivisch über die Zukunft. Ich hatte den Eindruck, dass diese Kontakte wirklich wertvoll sind. 

Saskia: Viele Teilnehmerinnen* haben gesagt, dass sie sich auf der Konferenz wohlfühlen. Dass es eine Veranstaltung ist, auf der sie keine Angst haben zu sprechen. Auf anderen wissenschaftlichen Veranstaltungen gibt es oft weniger Wortmeldungen von Frauen* – auf unserer Veranstaltung war das ganz anders. Das war eine beeindruckende Erfahrung.

F: Zum Ausblick: Es ist beschlossene Sache, dass diese Tagung nochmal stattfinden wird [an der Universität Potsdam]. Habt ihr weitere Pläne für das Frauen*netzwerk? Wie sollen Leute vorgehen, die gerne Teil davon werden wollen?

Laura: Eine Verstetigung haben wir von Anfang an mitgedacht. Deswegen sollten sich auch diejenigen, die dieses Mal nicht mit Vorträgen zum Zug kommen konnten, bei der nächsten Gelegenheit bewerben. Derzeit organisieren wir ein Übergabetreffen mit der Potsdamer Klassischen Philologie [federführend Hannah Brandenburg und Katharina Wesselmann] sowie der Klassischen Philologie in Berlin [Sophia Häberle und Marieke Fleck] und Kiel [Samantha Philips]. Um das Netzwerk in der Zwischenzeit zu etablieren, erstellen wir eine Mailingliste, auf die man sich bei Interesse setzen kann [s. u.].

Mareike: Die Zusammenarbeit war auch deshalb eine so schöne Erfahrung, weil sie gezeigt hat, dass wir nicht allein im Boot sitzen, wenn wir gemeinsame Anliegen und Themen vertreten. Mit unserer Arbeit sind wir auf viele offene Ohren gestoßen, auf viele Personen, die das Thema für richtig und wichtig erachten, was die Notwendigkeit dieses Austauschs verdeutlicht.

Vielen Dank, dass ihr euch so zahlreich die Zeit genommen habt!

Die Organisatorinnen danken der Mommsen-Gesellschaft, der Maria und Dr. Ernst Rink-Stiftung (Gießen), der Marburg Research Academy (MARA), sowie dem Frauen- und Gleichstellungsbüro, dem Ursula-Kuhlmann-Fonds und dem Zentrum für Gender-Studies und feministische Zukunftsforschung (alle Universität Marburg) herzlich für die finanzielle Unterstützung bei der Durchführung der Tagung.

Eintragung in die Mailingliste des Frauen*netzwerks ist unter diesem Link möglich. Wer Rückfragen zu dieser Mailingliste hat, darf gerne Saskia Schomber kontaktieren (Saskia.Schomber@lmu.de).

Anm.: Das Interview wurde online geführt und im Anschluss gekürzt und redigiert.