Raffael Schmidt

Promovierende/-r - Kohorte 1
Alte Geschichte

Raffael Schmidt ist Althistoriker und wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Graduiertenkolleg 2792 „Autonomie heteronomer Texte in Antike und Mittelalter“. In seinem Dissertationsprojekt untersucht er das Verhältnis wichtiger Autoren der Livius-Tradition zum opus magnum des Titus Livius und versucht anhand der dabei entstehenden Erkenntnisse, inhaltliche Aspekte der libri amissi zu rekonstruieren. Betreut wird er dabei von seinem Doktorvater Timo Stickler (Alte Geschichte, Jena) sowie von seinen weiteren Mentoren Meinolf Vielberg (Latinistik, Jena) und Jan-Markus Kötter (Alte Geschichte, Düsseldorf). Raffael erlangte seinen Bachelor-Abschluss in Geschichte und Antiker Kultur an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit einer Arbeit über Pyrrhos und den Tarentinischen Krieg und seinen Masterabschluss in Alter Geschichte an derselben Universität mit einer Arbeit über die diskursive Verarbeitung römischer Niederlagen zwischen den Schlachten von Cannae und Arausio. Seine Forschungsinteressen umfassen das gesamte Spektrum der antiken Geschichtsschreibung, die römische Republik und ihre politische Kultur, die griechische Klassik sowie die Theorie und Geschichte des Films.

Raffael Schmidt

Friedrich-Schiller-Universität Jena
GRK 2792 (Theologische Fakultät)
Fürstengraben 6
07743 Jena

Forschungsprojekt

Die Livius-Tradition. Studien zu den Postlivianern und den libri amissi des Livius
(Arbeit wurde 09/2025 eingereicht)

Die Studie verfolgt zwei wesentliche Ziele:

1. eine Analyse des Verhältnisses zwischen Livius und den jeweiligen Autoren der Livius-Tradition.

2. eine approximative Rekonstruktion ausgewählter Personenportraits aus den verlorenen Büchern des Livius (libri amissi).

Zu diesem Zweck ist die Arbeit in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil befasst sich mit den Autoren der Livius-Tradition. Diese werden in zwei Gruppen unterteilt: Zum engeren Kreis werden Autoren historiographischer Genera gezählt, deren Darstellungen der Römischen Republik zu einem großen Teil auf historischen Informationen des Livius beruhen. Hierzu gehören Florus, die Anonymi der Periochae sowie der Oxyrhynchia Liviana, Eutrop, Festus, Iulius Obsequens und Orosius. Zum weiteren Kreis gehören demgegenüber Autoren, die Livius entweder nur als Nebenquelle verwendeten (Velleius Paterculus,…) oder aber Genera angehören, die in ihren Genremustern stark von der Historiographie abweichen, wie die Epik (Lukan,…) oder die Exempla-Literatur (Valerius Maximus,…).

In einzelnen Kapiteln werden daraufhin die Autoren des engeren Kreises der Livius-Tradition untersucht (Kap. 2–8). Jedes dieser Kapitel ist wiederum gegliedert in einen Teil, der die Kontexte von Autor und Werk aufarbeitet und dabei etwa zu Fragen der Datierung oder der Autorenidentität Stellung bezieht, sowie in einen zweiten Teil, in dem das Verhältnis zu Livius untersucht wird. Der Begriff „Verhältnis“ ist in diesem Zusammenhang multivalent zu verstehen, weil er zum einen das Quellenverhältnis (unmittelbar oder mittelbar?) einschließt, für dessen Erarbeitung eine Revision der mittlerweile durch zahlreiche jüngere Einzeluntersuchungen überholten Ergebnisse der älteren Quellenforschung ansteht, und weil er zum anderen auch die Methoden der Verarbeitung des livianischen Prätextes meint. Bei diesen Methoden geht es um Selektion und Modifikation der livianischen Informationen, um die ideologische und literarische Agenda – kurz: Was machen die Autoren der Livius-Tradition aus welchem Grund mit dem livianischen Prätext? Auch die Autoren des weiteren Kreises der Livius-Tradition werden anschließend in einem Überblickskapitel behandelt (Kap. 9). Insgesamt ergibt sich in diesen Kapiteln das Bild eines äußerst heterogenen Spektrums von Werken, in denen sich jeweils ein Prozess der strategischen Selektion und Transformation livianischer Informationen vollzieht. Ihr gemeinsames Charakteristikum ist daher ein hervorstechendes Spannungsverhältnis zwischen derivativer und autonomer Textgestaltung.

In einem Zwischenschritt wird daraufhin auf Basis der Erkenntnisse aus den vorangegangenen Einzeluntersuchungen ein Bild des Gesamtzusammenhangs der Livius-Tradition präsentiert (Kap. 10). Dies umfasst zunächst die Zusammenführung der Befunde zu den Quellenverhältnissen der Livius-Tradition in Form eines visualisierten Gesamtschemas. Anschließend wird die livianische Tradition als historischer Diskurs beschrieben: Die postlivianischen Autoren instrumentalisieren die Erinnerung an die republikanische Vergangenheit für ihre jeweilige literarische, ideologische und politische Agenda. Sie kommunizieren folglich mit zwei Ebenen: zum einen mit dem livianischen Prätext, dessen kanonische Autorität sie sich zunutze machen; zum anderen mit den Lesern und Kontexten ihrer Gegenwart, auf die sie durch das strategisch geformte Bild der Vergangenheit einzuwirken versuchen. Die Werke der Livius-Tradition nahmen demnach als transformierte Echos des Livius eine zentrale Rolle für die intersubjektive Wahrnehmung der republikanischen Vergangenheit ein.

Im zweiten Teil der Studie folgen schließlich die Rekonstruktionen livianischer Personendarstellungen aus den libri amissi (Kap.11). Methodisch basieren diese auf drei Säulen. Die erste Säule, die die Hauptlast trägt, bilden die im ersten Teil erarbeiteten Befunde zu den Autoren der Livius-Tradition. Die zweite Säule bildet die Erschließung von „annalistischen“ Traditionsursprüngen und -tendenzen, die das Werk des Livius maßgeblich beeinflusst haben. Die dritte Säule bilden intratextuelle Referenzen im erhaltenen Livius-Text. Untersucht werden als Auswahlprobe dabei die Portraits von Scipio Aemilianus, Tiberius Gracchus, Gaius Marius, Mithridates VI. Eupator, Pompeius Magnus sowie – als Rückblick auf die verlorene zweite Dekade in Ab urbe condita – Pyrrhos, Fabricius Luscinus und Curius Dentatus. Es ergeben sich bei einigen Rekonstruktionsvorschlägen (Marius, Pompeius, Mithridates) äußerst ambivalente Deutungsrahmen, die den in der Forschung zuletzt immer wieder betonten offenen Charakter des livianischen Werks verdeutlichen. Genauso zeigt sich jedoch auch die hohe Flexibilität des Livius, der einige Personen (Scipio Aemilianus, Tib. Gracchus) einseitig darstellte und dabei in Aspekte seiner literarischen Makrostrategie integrierte. Insgesamt tritt durch die Befunde zu den libri amissi eine hohe Intrakonnektivität des Gesamtwerks hervor, das trotz seines erheblichen Umfangs unbedingt als Werksganzes zu verstehen ist. Die republikanische Krise, deren livianische Gesamtbewertung sich durch die Untersuchungen schemenhaft abzeichnet, scheint bei Livius derweil mehr auf individuellen moralischen Mängeln zentraler Akteure und weniger auf systemischen Dysbalancen beruht zu haben.

Curriculum Vitae

Seit 01/2023

Doktorand am DFG-Graduiertenkolleg 2792 „Autonomie heteronomer Texte in Antike und Mittelalter“ an der Friedrich-Schiller-Universität Jena

04/2021-03/2023

Wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Klassische Philologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

10/2020 – 07/2022

Master der Geschichtswissenschaft (Schwerpunkt: Alte Geschichte) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

04/2018 – 03/2020

Studentische Hilfskraft an den Instituten für Klassische Philologie und Alte Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

10/2015 – 09/2019

Bachelor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf in den Fächern Geschichte und Antike Kultur

05/2015

Abitur am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium, Leverkusen

26/09/1997

geboren in Troisdorf

Veröffentlichungen

Mehner, A./ Schmidt, R./ Viola, D., Tagungsbericht: (Re)Create: Towards a Theory of Heteronomous Texts, in: Hsozkult, 23.01.2025

Schmidt, R., Ein bellum iustum gegen Rom? Zur diskursiven (Re-)Konstruktion des Galliersturms (390/387 vC) in der Livius-Tradition, in: Diez, G./ Steilmann, E. (Hgg.), Gerechter Krieg in der Antike (eingereicht).

Schmidt, R., Ovid und Hitchcock. Die Metamorphoses als Prätext für Vertigo (1958) (eingereicht für Sammelband, Hgg: Bezzel, H. und Marshall, S.)

Schmidt, R., Die Livius-Tradition. Studien zu den Postlivianern und den libri amissi des Livius (Dissertation, in Begutachtung)

Präsentationen

27.01.2025 (Marburg)

Livius rekonstruieren? Das Portrait des Scipio Aemilianus in den livianischen libri amissi

16.12.2024 (Jena)

Die Livius-Tradition als historischer Diskurs: Überlegungen zur (Re-)Konstruktion der Römischen Republik in der Kaiserzeit

30.11.2024 (Jena)

Das Portrait des Tib. Gracchus in den libri amissi des Livius

21.06.2024 (Göttingen)

Die Livius-Tradition: Rezeption und Rekonstruktion

16.11.2023 (Graz)

Livius rekonstruieren? Das Personenportrait des Marius im Spiegel der Livius-Tradition

13.11..2023 (Jena)

Epitoma oder Breviarium? Terminologische Klärungen am Beispiel postlivianischer Werke

23.5.2023 (Jena)

Die Livius-Tradition zwischen informationeller Heteronomie und autonomer Identität

13.12.2021 (Düsseldorf)

Römische Militärdesaster von Cannae bis Arausio. Erklärungsansätze und Konsequenzen

27.01.2025 (Marburg)

Livius rekonstruieren? Das Portrait des Scipio Aemilianus in den livianischen libri amissi

16.12.2024 (Jena)

Die Livius-Tradition als historischer Diskurs: Überlegungen zur (Re-)Konstruktion der Römischen Republik in der Kaiserzeit

30.11.2024 (Jena)

Das Portrait des Tib. Gracchus in den libri amissi des Livius

21.06.2024 (Göttingen)

Die Livius-Tradition: Rezeption und Rekonstruktion

16.11.2023 (Graz)

Livius rekonstruieren? Das Personenportrait des Marius im Spiegel der Livius-Tradition

13.11..2023 (Jena)

Epitoma oder Breviarium? Terminologische Klärungen am Beispiel postlivianischer Werke

23.5.2023 (Jena)

Die Livius-Tradition zwischen informationeller Heteronomie und autonomer Identität

13.12.2021 (Düsseldorf)

Römische Militärdesaster von Cannae bis Arausio. Erklärungsansätze und Konsequenzen